S. Bolliger: Im Zeichen der Nationalisierung

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Titel
Im Zeichen der Nationalisierung. Die Haltung der Universität Zürich gegenüber ausländischen Studierenden in der Zwischenkriegszeit


Autor(en)
Bolliger, Silvia
Reihe
Zürcher Beiträge zur Geschichtswissenschaft (11)
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
375 S.
von
Stefanie Salvisberg

Der Erste Weltkrieg bedeutete für die studentische Migration an die Universität Zürich eine Zäsur. Betrug der Anteil ausländischer Studierender vor 1914 noch über einen Drittel, sank dieser bis zum Kriegsausbruch 1939 auf unter zehn Prozent. Während das «Ausländerstudium» des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bereits Gegenstand zahlreicher Forschungen ist, gibt es nur wenige Studien, die den Fokus auf die ausländische Studierendenschaft in der Zwischenkriegszeit richten. Im Kontext der «Geistigen Landesverteidigung», einer selektiven Migrationspolitik, vorwiegend antijüdisch konnotierten Begriffen wie «Überfremdung» und des sich an der Universität Zürich formierenden Frontismus, untersucht Silvia Bolliger die Haltung der Universitätsbehörden und der Studentenschaft gegenüber ausländischen Studierenden in den Jahren 1919 bis 1939. Ausgehend von ihrer These, dass auch an der Universität Zürich (im Rahmen der «Nationalisierung») nebst Fremden- insbesondere Frauenfeindlichkeit sowie Antisemitismus weit verbreitet waren, richtet die Autorin das Hauptaugenmerk auf jüdische und weibliche Studierende.

Die an der Universität Zürich abgeschlossene Dissertation ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten unternimmt die Autorin eine quantitative Analyse der Studierendenschaft, wozu sie die Immatrikulationsdatenbank des Staatsarchivs Zürich, eine eigens zusammengestellte Promotionsdatenbank sowie Studierendenstatistiken auswertet. Die Resultate werden durch graphische Darstellungen ergänzt und dienen als Grundlage der Studie. Im zweiten Teil widmet sich die Autorin der historischen Kontextualisierung des «Ausländerstudiums» an der Universität Zürich in der Zwischenkriegszeit. Es werden Push- und Pull-Faktoren für die studentische Migration eruiert, indem die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Schweiz (v. a. Zürich) und derjenigen Länder dargelegt werden, aus denen über die Hälfte der ausländischen Studierenden stammten: Deutschland, mit einigem Abstand Polen und die USA. Mehrheitlich handelte es sich um jüdische Studierende, die an ihren Heimuniversitäten von antisemitischer Diskriminierung betroffen waren. Im dritten und zentralen Teil der Dissertation wird zum einen die Haltung der Universitätsbehörden, zum anderen jene der Studierendenschaft der Universität Zürich (SUZ) gegenüber ausländischen und weiblichen Studierenden untersucht. Dazu wertet die Autorin insbesondere Protokolle, (Jahres‐)Berichte, studentische Publikationen und Rektoratsakten aus. Die in zwei Kapitel gegliederten Analysen folgen demselben Aufbau: In chronologischer Reihenfolge, unterteilt in fünf Phasen, werden die wichtigsten Geschäfte mit Bezug zum Forschungsvorhaben detailreich aufgearbeitet. Dadurch wird ein Vergleich zwischen den untersuchten Gruppen möglich. In einem Zwischenschritt werden zudem die Handlungsspielräume und Abhängigkeiten der Universitätsbehörden im Spannungsfeld von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen dargelegt.

Ein erstes Hindernis für ausländische Studierende, zum Studium in Zürich zugelassen zu werden, war die restriktive Praxis der Fremdenpolizei bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen. Das zweite Hindernis war die Zulassungspolitik der Hochschule selbst. Die Autorin beschreibt diese als «pragmatisch-opportunistisch»: Gelockerte Zulassungsbedingungen für ausländische Studierende wurden dann gestrafft, wenn die inländische Nachfrage zunahm (S. 217). Dennoch stellt sie innerhalb der Universitätsbehörden und der SUZ fremdenfeindliche Tendenzen fest, die sich deutlich gegen jüdische Studierende aus dem Ausland gerichtet haben. Antisemitisch motivierte Massnahmen (z. B. restriktivere Zulassungsbedingungen bei der Immatrikulation, dem Eintritt in studentische Gremien oder die Registrierung der Konfessionszugehörigkeit) wurden gemäss Bolliger als alle ausländische Studierende betreffend kaschiert. Diese Vorgehensweise schätzt sie als ebenbürtig zur damaligen Praxis des Bundes und gleichermassen als «diskret antisemitisch» ein (S. 221).

Unter den Studierenden stellt die Autorin ein breites Spektrum an Verhaltensweisen gegenüber jüdischen Mitstudierenden fest, das von Solidarität bis hin zu offenem Antisemitismus reichte. Grundsätzlich seien ausländische (v. a. jüdische) und weibliche Studierende als Konkurrenz an der Hochschule und auf dem akademischen Arbeitsmarkt wahrgenommen worden, «obwohl dies nicht der Realität entsprach, da gerade diesen beiden Gruppen der freie Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt blieb» (S. 327). Die Frauenfeindlichkeit der Schweizer Studenten nahm gemäss Bolliger im Untersuchungszeitraum zu. Dies manifestierte sich u. a. in herabsetzenden Aussagen im offiziellen Publikationsorgan der SUZ, dem Zürcher Student, oder in der Unterrepräsentation von Studentinnen in SUZ-Gremien. Eine institutionalisierte Diskriminierung von Studentinnen durch die Universitätsbehörden kann Bolliger dagegen nicht belegen; diesbezügliche Untersuchungen des Lehrkörpers müssten allerdings in zukünftigen Forschungsprojekten vertieft werden.

Die Ausgangsthese, dass an der Universität Zürich in der Zwischenkriegszeit Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit verbreitet waren, wird von der Autorin folglich in differenzierter Form bestätigt. In Bezugnahme auf die Studie von Karin Stögner,1 der zufolge die Verbindung von Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit im Nationalisierungsprozess dazu dient, eine Nation trotz unterschiedlicher Strömungen zu einen, erkennt Bolliger diese Verknüpfung auch als konstitutives Element für das Selbstverständnis der Zürcher Studentenschaft und Universitätsbehörden. Angesichts der prominenten Stellung des Begriffs «Nationalisierung» im Titel der Dissertation hätte eine ausführlichere theoretische und themenspezifische Einordnung dieser Begrifflichkeit vorgenommen werden können. Wünschenswert wäre vielleicht auch eine deutlichere Kontextualisierung der Universität Zürich innerhalb der schweizerischen Hochschullandschaft gewesen. Insgesamt handelt es sich jedoch um einen wertvollen Beitrag für die studentische Migrationsgeschichte und die schweizerische Wissenschafts- und Hochschulgeschichte. Zudem stellen insbesondere die quantitativen Auswertungen einen grossen Mehrwert für künftige Forschungsprojekte dar.

Anmerkung:
1 Karin Stögner, Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen, Baden-Baden 2014.

Zitierweise:
Salvisberg, Stefanie: Rezension zu: Bolliger, Silvia: Im Zeichen der Nationalisierung. Die Haltung der Universität Zürich gegenüber ausländischen Studierenden in der Zwischenkriegszeit, Köln 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (3), 2020, S. 486-486. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00071>.